Mittwoch, 9. Oktober 2024
Um 15:00 Uhr verlässt die Mare Jonio, das Schiff von Mediterranea Saving Humans, den Hafen von Trapani zur 19. Such- und Rettungsmission im zentralen Mittelmeer – trotz eines Erlasses des Ministeriums für Infrastruktur und Verkehr, der das Ausschiffen sämtlicher Rettungsausrüstung an Bord angeordnet hatte.
Die Abfahrt war unerwartet: Am 17. September hatte eine unangekündigte Sonderinspektion – ohne offizielle Begründung vom Ministerium angeordnet – mit der Anweisung geendet, die Rettungsausrüstung am hinteren Deck auszuschiffen. Darunter befanden sich Container zur Unterbringung geretteter Menschen, eine Krankenstation, Chemietoiletten, Duschen und zwei Schnellboote (RHIBs).
Wäre die Mare Jonio dieser Anordnung nicht nachgekommen, hätten die Behörden mit dem Entzug des Zertifikats zur Fahrtüchtigkeit gedroht – eine Voraussetzung für die Navigation.
„Das ist ein völlig rechtswidriger Befehl“, erklärt Alessandro Metz, sozialer Reeder von Mediterranea Saving Humans. „Eine Maßnahme, deren einziges Ziel es ist, die Mare Jonio endgültig zu stoppen. Wir haben unsere Jurist:innen eingeschaltet und legen auf allen Ebenen Rechtsmittel gegen diese ungerechte Entscheidung ein. Doch wir können unsere Aktivitäten nicht aussetzen, während wir auf ein Gerichtsurteil warten.“
„Aus diesem Grund“, erläutert Sheila Melosu, Einsatzleiterin an Bord, „haben wir der Anweisung Folge geleistet und das verlangte Material entladen – um dennoch auslaufen und dort sein zu können, wo die Mare Jonio einen Unterschied macht. Wir sind bereit, in Gefahrensituationen einzugreifen, Menschen in Not zu helfen und zu retten, wenn nötig. Es sind Menschen, die Menschen retten – keine Ausrüstung. Menschen, die dem Seerecht und dem internationalen Recht folgen.“
„Es ist besonders bedeutsam“, schließt Laura Marmorale, Präsidentin von Mediterranea Saving Humans, „dass unsere Mare Jonio gerade jetzt wieder auslaufen kann – in einem Moment, in dem die autoritäre Politik der Regierung durch sogenannte Sicherheits- und Migrationsdekrete die Rechte aller Bürger:innen, Migrant:innen und die zivile Flotte gleichzeitig angreift. Diese Mission ist auch dank der Unterstützung der Gewerkschaft Flai CGIL möglich, die aktiv gegen Ausbeutung und illegale Beschäftigung in der Landwirtschaft kämpft.“
Diese 19. Mission der Mare Jonio ist dem Gedenken an Giacomo Gobbato gewidmet, einem Aktivisten des Sozialzentrums Rivolta, der am 20. September in Mestre erstochen wurde, als er versuchte, eine Frau bei einem Raubüberfall zu schützen. Auf dem Schiff steht nun: „Con Jack. Non ci volteremo mai dall’altra parte.“ (Mit Jack. Wir werden uns niemals abwenden.)
Donnerstag, 10. & Freitag, 11. Oktober
Am Morgen erreicht die Mare Jonio das Einsatzgebiet südlich von Lampedusa und sucht rund drei Stunden lang nach einem hölzernen Boot mit ca. 45 Personen an Bord, das von Alarm Phone und dem Aufklärungsflugzeug Seabird gemeldet wurde. Die Menschen an Bord waren in Panik, das Boot nahm Wasser auf. Um 13:55 Uhr informiert das italienische MRCC in Rom, dass die italienische Küstenwache die Menschen gerettet und nach Lampedusa gebracht habe. Die Mare Jonio setzt ihren Kurs nach Süden fort. Trotz unbeständigem Wetter sind bereits sieben Boote mit 187 Personen an diesem Tag in Lampedusa angekommen.
Am Nachmittag melden Frontex-Flugzeuge und Alarm Phone ein Schlauchboot mit 75–110 Personen in der libyschen SAR-Zone. Es bewegte sich mit 4 Knoten nach Norden.
Trotz eines drohenden Sturms mit Wellen bis zu 2 Metern beschließt die Mare Jonio, Kurs auf das Boot zu nehmen. Doch um 16:30 Uhr, rund 48 Seemeilen entfernt, meldet Seabird, dass das Boot von der libyschen Miliz SSA (Stability Support Apparatus) abgefangen wurde.
Mangels weiterer Notrufe kehrt die Mare Jonio mit schwerem Herzen um und steuert Lampedusa an, um dem Sturm zu entkommen. Kurz vor dem Hafen bestätigt die Küstenwache, ein weiteres Boot mit etwa 40 Personen gerettet zu haben.
Samstag, 12. & Sonntag, 13. Oktober
Am Samstag um 07:45 Uhr verlässt die Mare Jonio erneut Lampedusa und erreicht abends die libysche SAR-Zone westlich von Tripolis. Dort beginnt sie mit der Patrouille, 30–40 Seemeilen von der libyschen Küste entfernt. Am Nachmittag empfängt sie über Funk eine Meldung von Frontex über ein in Seenot geratenes Eisenboot mit 40 Personen, 34 Meilen südwestlich von Lampedusa. Die Mare Jonio ist jedoch über 100 Meilen entfernt – mehr als 11 Stunden Fahrzeit. Das Notsignal wird öffentlich weitergegeben, damit italienische Behörden einschreiten. Später bestätigt sich: alle Personen wurden nach Lampedusa gebracht.
Montag, 14. Oktober
Gegen 5:00 Uhr rettet die Mare Jonio auf Alarm Phone-Hinweis 58 Menschen in der tunesischen SAR-Zone – sie waren 22 Stunden ohne Wasser, Nahrung und Motorhilfe auf See, geflüchtet aus Libyen.
Um 02:27 Uhr hatte Alarm Phone per Mail gemeldet, dass ein Boot mit 56 Personen in der tunesischen SAR-Zone in Not sei. Die Mare Jonio erklärt um 03:32 ihre Bereitschaft, zu helfen, und lokalisiert das Boot um 04:10: rund 60 Personen, überladen, ohne Sicherheit, ohne erfahrene Besatzung, ohne Kommunikationsmittel – in unmittelbarer Lebensgefahr.
Um 06:03 meldet die Mare Jonio den erfolgreichen Abschluss der Rettung von 58 Personen, darunter ein unbegleiteter Minderjähriger, und beantragt die Zuweisung eines sicheren Hafens.
Da keine Behörde reagiert, fordert das Schiff um 10:07 erneut einen Hafen an und erklärt, nach Trapani zu fahren.
12:00 Uhr – Weitere 25 Personen gerettet
Auf dem Weg nach Norden entdeckt das Schiff ein überfülltes Schlauchboot mit 25 Personen in maltesischer SAR-Zone, 25 Meilen südwestlich von Lampedusa. Die Lage ist kritisch. Das Rettungsteam stabilisiert die Situation, verteilt Rettungswesten, versorgt die Menschen mit Wasser und Nahrung, bis die italienische Küstenwache (CP281) übernimmt.
13:06 Uhr: Das MRCC Rom teilt mit, dass das italienische Innenministerium den entfernten Hafen von Neapel für das Ausschiffen der 58 Geretteten zuweist – 360 Seemeilen entfernt, fast zwei Tage Fahrt.
Ein zäher Kampf beginnt: Telefonate, E-Mails, Verhandlungen. 22:21 Uhr: Statt Neapel wird Porto Empedocle in Sizilien zugewiesen.
Dienstag, 15. Oktober – 09:00 Uhr
Nach der Weigerung, Neapel anzulaufen, gehen die 58 Menschen sicher in Porto Empedocle an Land.
Bereits um 08:01 Uhr hatte die Mare Jonio einen medizinischen Bericht an die Behörden geschickt: Die Geretteten waren am Freitag aus Libyen aufgebrochen, nach Motorversagen 22 Stunden auf See, viele stark dehydriert. Der Bericht dokumentiert die medizinische Not: Verwundungen an den Händen, eine schwere Zahninfektion, psychische Traumata durch Folter und Haft in Libyen.
Um 19:00 Uhr: Kapitän und Reeder der Mare Jonio werden vorgeladen. Es folgen eine Geldstrafe (4.000 €) und ein 20-tägiger Verwaltungshaftbefehl für das Schiff.
„Zum dritten Mal trifft das Piantedosi-Dekret unser Schiff“, sagt Laura Marmorale.
„Diesmal mit dem absurden Vorwurf, wir hätten ohne Genehmigung unseres Flaggenstaats gerettet. Wir sagen es klar: Menschenleben zu retten ist Pflicht – moralisch und rechtlich. Wir bleiben menschlich.“
Die Regierung bestraft uns, weil wir Menschen retten, die in Seenot sind – Menschen, die von den Behörden im Stich gelassen werden, obwohl sie über ihre Position informiert sind. Diese unterlassene Hilfeleistung ist Teil einer systematischen Abschottungsstrategie, die schon tausende Tote gefordert hat. Wer helfen kann, muss helfen. Wir werden nicht aufhören